Justiz-Show - Müll oder Lehrstück?

Dem TV-Richter Alexander Hold werden beim
Disput in Mainz überwiegend wohlwollende Urteile verkündet



MAINZ - Manchmal fliegen die Fetzen. Typen, dem Neandertal geistig kaum entwachsen, pöbeln im Zuschauerraum des Gerichtssaals. Zeuginnen, deren Bekleidung nahezu gynäkologische Einblicke eröffnet, lügen zum Steinerweichen. Das Drehbuch will es so, denn es geht um Fernsehen. Und dann schlägt die Stunde der Helden in den nachmittäglichen TV- Justizshows: Richterin Barbara Salesch, pfundige Mischung aus Mutter Beimer (Lindenstraße) und Inge Meysel, nimmt sich Unholde verbal so zur Brust, dass sie keinen Mucks mehr machen. Richter Alexander Hold, Typ schwarz-gelockter Alpen-Macho, erzielt erstaunliche Wirkung durch missbilligendes Heben der Augenbrauen. Die Branche boomt. Salesch und Hold, beide Sat 1, aber auch ihre RTL-Kollegen von "Strafgericht", "Jugendgericht" und "Familiengericht" bringen zwischen 14 und 17 Uhr zwei Millionen Zuschauer auf die Couch.
Zwei Millionen gute Gründe für die Rechtsanwaltskammer Koblenz, in einer Podiumsdiskussion in Mainz über "Sinn und Unsinn von Gerichtsshows" zu debattieren. Es entspann sich ein unterhaltsamer, intellektuell ansprechender Disput. Dabei, live und höchst selbst: Alexander Hold, wie Salesch und Co. auch im richtigen Leben "gelernter" Richter.
Den Part des miserablen Verlierers riss auf dem Podium ZDF-Rechtsexperte Bernd UIrich Haagen an sich. Mehr oder weniger "trash" - zu deutsch: Müll - seien die Gerichtsshows der Privaten, mit Strafrecht und Pöbeleien auf Sex and Crime versessen. Ganz anders, meint Haagen, das ZDF-Gegenstück "Streit um Drei" mit seriösen Zivilfällen - aber leider nur der halben Zuschauerresonanz. Was Haagen nicht sagt, was sich jedem Zuschauer aber erschließen kann: "Streit um Drei" leidet unter oft grausig schlechten Schauspieler- Leistungen und einem unsäglich langweiligen TV-Richter.
Kühl kontert Medienprofi Alexander Hold Haagens Kritik: "Ich gucke gerne Streit um ~ Drei". Jawohl: die Privaten böten Unterhaltung, Kammerspiel, sagt Hold, "aber mit positiven Nebenwirkungen, der Zuschauer kriegt ein differenziertes Bild von der Rollenverteilung in der Justiz." Den Vorwurf "zu viel Sex" lässt er nicht gelten: "Natürlich verhandeln wir spektakuläre Fälle, aber im ,Tatort' geht es auch nicht um Ladendiebstahl." Zu viel Emotion? "Bei der Berichterstattung über Hochwasser sehen Sie auch heulende Menschen, Fernsehen arbeitet nun mal mit Gefühlen und Klischees." Ein überaus wohlwollendes Urteil über Hold und Co. spricht auf dem Podium Hans E. Lorenz, in Sachen Medien mehrfach schlachtenerprobt: als Vorsitzender Richter einer Strafkammer mit spektakulären Prozessen, in der Freizeit als SWR-Fernsehreporter im Metier Sport. Auch im realen Strafprozess werde mitunter Theater gespielt, schickt er voraus. Die Gerichtsshows im Fernsehen seien "eine begrüßenswerte Variante, natürlich nicht mit dem Anspruch, dass alle Regeln der Strafprozessordnung eingehalten werden". Positiv zu würdigen: die Shows seien bei rechtlichen Details immerhin weit exakter als Fernsehkrimis.
Da seien aber doch "Das Fernsehgericht tagt" oder "Ehen vor Gericht" viel authentischer gewesen, schwelgt im Publikum der Präsident des Landgerichts Koblenz, Hans-Josef Graefen, in alte Zeiten. "Unsäglich" seien
die Gerichtsshows, findet er, "sowas bereitet mir körperliche Qualen." Können Gerichtsshows gar schaden? "Nein", sagen Lorenz und der Neuwieder Anwalt Friedrich Jansen. Eine Juristin im Publikum berichtet dagegen, eine Mandantin, Opfer einer Straftat, habe nach dem Anschauen von TV -Shows nun Angst, vor dem realen Ge- richt als Zeugin' aufzutreten. Solche Einwände nehme er sehr ernst, sagt Hold, "aber ich kriege eigentlich die umgekehrten Reaktionen, Briefe, in denen steht: "Wenn ich sehe, wie Sie mit den Menschen umgehen, habe ich keine Angst mehr vor dem Gericht."
Der Diskussionsmoderator Professor Franz Salditt (Neuwied), zur Creme deutscher Strafverteidiger zählend, legt ein Geständnis ab: Er kenne Hold und Co. nur aus Erzählungen seiner Schwiegermutter. Nun quält Salditt die Frage, ob in Gerichtsshows nicht die eigentliche Leistung der Justiz, tiefe, existenzielle Konflikte ruhig und fair zu lösen, untergehe. Die Antworten der Mainzer Diskussion zu dieser Frage sind hart, in ihrer Ehrlichkeit aber desillusionierend und deshalb vielleicht hilfreich. "Je anspruchsvoller die Sendung, desto geringer die Quote", sagt Anwalt Jansen. "Bessere Gerichtsshows kriegen wir nicht, weil der Zuschauer sie nicht will", pflichtet Hold bei. "Je einfacher das Fernsehen, desto mehr Zuschauer", resümiert Lorenz. Aber nicht immer sei das Einfache das Schlechte.

TEXT: Reinhard Breidenbach








 

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