"Donnerstag, 22.11.07"
Der Fall:
Manuel soll bei der Börsenmaklerin Beatrix eingebrochen
sein und die Wohnung mit einer Axt verwüstet haben.
Wollte sich er sich mit der Tat dafür rächen,
daß er sich bei Aktiengeschäften verspekuliert
hat?
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Manuel war ein Genie. Jedenfalls hielt er sich dafür.
Das Blöde war nur, daß seine Umwelt sich einfach
weigerte dies zur Kenntnis zu nehmen. Manuel hatte keine
Kunstausbildung, dennoch war er felsenfest überzeugt
ein großer Künstler zu sein, ein Maler, der
dazu bestimmt war mit bestechenden Bildern seine Umwelt
zu beglücken. Leider hatte das bis jetzt auch keiner
bemerkt und keine Galerie war bis jetzt auf die Idee gekommen,
seine Kunstwerke auszustellen. Das hinderte Manuel aber
keineswegs darin sich weiterhin für einen begnadeten
Maler zu halten. Es mußte halt ein anderes Genie
kommen, der endlich sein Genie entdecken würde und
er wäre ein gemachter Mann. Denn so schnöde das
Thema auch war. Der Mammon mußte heran und da ihm
das Malen das Brot nicht auf den Tisch brachte, mußte
er sich mit Gelegenheitsjobs durchschlagen. Das machte
er reichlich widerwillig, hier mußte er sich Vorgesetzten
beugen, die seine Arbeit gar nicht wert waren. Es war zum
Heulen. Aber er war sicher... eines Tages würden seine
Arbeiten unbezahlbar sein.
Beatrix Wagner lebte in einer ganz anderen Welt als Manuel
und es wäre ihr niemals im Leben in den Sinn gekommen,
sich mit jemanden wie Manuel auseinander zu setzen. In
ihren Bekanntenkreis gab es keine arbeitslose Maler, schon
gar keine Maler, die wegen Diebstahls im besonders schweren
Fall vor Gericht gestanden hatten. Nein Beatrix wußte
wer sie war und was sie konnte und wie man zu Geld kam,
daß wußte sie wie keine zweite. Sie überließ
aber auch nichts dem Zufall. Sämtliche Daten über
sämtliche Börsengeschäfte hatte sie auf
Disketten und CD-Archivs festgehalten und ihr Wissen galt
etwas. Wollte jemand einen absoluten Insider-Tip, dann
hieß es "Geh zu Beatrix Wagner". Und Beatrix
liebte ihr Leben, ihr sicheres Wissen über die Börse
schützte sie vor üblen Überraschungen und
zu Hause hatte sie es behaglich und teure Designermöbel
versüßten ihre seltenen Ruhepausen. Ja Beatrix
hatte ihren Platz in der Welt gefunden und sie glaubte
sich sicher. Was konnte ihre Welt schon groß erschüttern?
Sie hatte alles im Griff und ihre Karriere war noch nicht
am Ende.
Man sollte meinen, daß sich die Wege zweier so gegensätzlicher
Menschen niemals kreuzen würden... aber auf eine seltsame
Art taten sie es doch. Manuel, der sich an diesen Abend
dazu herabgelassen hatte sich unter die Normalsterblichen
zu begeben, befand sich zufällig im gleichen Restaurant
wie Beatrix. Natürlich kamen die beiden nicht ins
Gespräch, aber Manuel war dort in Begleitung mit Aurelia.
Aurelia war ganz hingerissen von Manuel, aber leider war
sie so unglaublich schüchtern. Und als der Gesprächsstoff
auszugehen drohte, griff sie zu einen Trick, den sie schon
öfters in solchen Situationen gebraucht hatte. Aurelia
war von gehörlosen Eltern aufgezogen worden, sie konnte
perfekt von den Lippen ablesen. Immer wenn sie unsicher
wurde und es bei Dates nichts mehr zu bereden gab, übersetzte
sie die Gespräche von Nebentischen, die man sonst
nicht mitbekommen würde. Das tat sie auch jetzt. Manuel
täuschte zuerst Interesse vor, als sie ihm die banalsten
Dinge übersetzte. Uninteressante Dinge wie schlechte
Noten beim Nachwuchs oder etwa sogar ein Heiratsantrag.
Er wollte das Date auch gerade abbrechen, als es plötzlich
um Insidertips aus der Börse ging... Jetzt vergaß
Manuel sogar, daß er Aurelia anfangs nur ins Bett
hatte zerren wollen, sondern er hörte zum ersten Mal
in seinen Leben aufmerksam zu.
Manuel war vielleicht kein großer Künstler als
Maler, aber es gab eine Kunst, die er vollendet beherrschte.
Die Kunst des Geldverdienens ohne sich groß anstrengen
zu müssen. Und diese Insidertips hörten sich
in seinen Ohren schwer danach an, als ob er hier groß
absahnen könnte. Und das ohne einen Finger zu rühren.
Perfekt. Manuel verkaufte alle sein Hab und Gut, und investierte
sein ganzes Geld in diese Aktientips. Und das absolut Geniale
war: Das funktionierte auch noch. Manuels Konto füllte
sich mit Geld und da er für jemanden, der angeblich
an materiellen Dingen überhaupt nicht interessiert
war, leidenschaftlich gern einkaufte, kleidete er sich
von Kopf bis Fuss an und war gar nicht mehr wiederzuerkennen.
Und Aurelia war sein Schlüssel zu diesem ganzen Glück.
Er konnte das nächste Treffen gar nicht mehr abwarten
und drängte sie ungeduldig, daß sie sich bald
wiedersehen mußten. Dabei lag das weniger an den
Reizen von Aurelia, sondern er wollte schnell wie möglich
die nächsten Insidertips hören.
Aurelia war über Manuels übergroßes Interesse
selig. Hier war endlich ein eindeutig netter Kerl, der
sich auch noch für sie interessierte. Und er sah auch
noch gut aus. Vor lauter Glücksseligkeit übersah
sie zuerst noch, daß der sich gar nicht über
private Dinge mit ihr unterhalten wollte, sondern nur noch
von ihr Gespräche übersetzt haben wollte. Aber
irgendwann fiel es sogar der verliebten Aurelia auf und
das war eine herbe Enttäuschung. Jedes Mal, wenn sie
von sich erzählen wollte oder etwas von ihn wissen
wollte, blockte er ab und wollte weiter übersetzt
haben. Und komisch, es handelte sich immer um die Aktientips
dieser Börsenmaklerin. Und noch komischer Manuel trug
auf einmal teure Klamotten und sah auch sonst viel gepflegter
aus. Es war wie ein Schlag ins Gesicht, aber Aurelia mußte
sich eingestehen, daß der süße Manuel
sie total verarschte und sie bloß ausnutzte. "Na
warte mein Freundchen, jetzt weht hier aber mal ein ganz
anderer Wind" dachte sie und verarschte ihn ihrerseits.
Sie kratzte ihr ganzes Schauspielertalent zusammen und
übersetzte Aktientips, bei denen sich der guten Frau
Wagner einfach nur die Haare gesträubt hätten.
Und Manuel schluckte das alles auch noch. Na der würde
bald Augen machen. Aurelia lächelte ihn süß
an und kochte dabei vor Rachedurst.
Aurelia hätte ihren Heidenspaß gehabt, falls
sie Manuel bei seinen fieberhaften Aktionen gesehen hätte.
Er kratzte wie üblich sein ganzes Vermögen zusammen
und setzte alles. Aber dieses Mal, als er mit siegesgewissem
Grinsen die Aktienkurse nachlas, fror ihm das Grinsen auf
dem Gesicht ein. Er hatte alles verloren. Der angeblich
so sichere Tip hatte sich als absolute Niete erwiesen.
Jetzt hatte er nicht nur sein ganzes Geld verloren, er
hatte auch noch Schulden, da er wie ein Wahnsinniger eingekauft
hatte von dem Geld was er noch nicht hatte. Ein vernünftiger
Mensch wäre jetzt auf die Idee gekommen sich selbst
die Schuld zu geben. Aber Manuel blieb bis zum bitteren
Ende bei seiner alten Arroganz. Schuld hatte bloß
diese Börsentussi, die ihr Geschäft einfach nicht
verstand. Sie und alle anderen Finanzhaie, die seinesgleichen
doch immer nur zurück in den Dreck treten wollten.
Aber sie würde, stellvertretend für alle büssen.
Er war fest entschlossen, sich und all die anderen armen
Manuels dieser Welt zu rächen. Manuel hatte auch schon
eine Idee, wie er an ihre Adresse kommen würde. Im
Beatrix Stammrestaurant gab er sich als Taxifahrer aus,
wo sie angeblich ihre Tasche vergessen haben sollte. Mit
der Adresse und einer Axt bewaffnet, machte er sich daran
Beatrix Wohnung effektiver zu zerstören, als ein professionelles
Abrissunternehmen es vermocht hätte. Dabei kannte
Beatrix ihn noch nicht einmal.
Beatrix traf fast der Schlag, als sie von dem Einbruch
erfuhr. Aber nichts glich diesem Grauen, als sie die Türe
öffnete. Nichts war heil geblieben. Ihre ganze Einrichtung,
ihr geliebter Designersessel, der Computer, alles lag in
Trümmern vor ihr. Und je mehr sie die Wohnung durchsuchte,
desto verzweifelter wurde sie. Der Einbrecher hatte sich
nicht darauf beschränkt alles in Stücke zu hauen,
nein, ihr ganzes Arbeitsmaterial war vernichtet. Sie durchsuchte
das was früher mal ihr Schrank gewesen war und fand
heraus, daß sämtlicher Schmuck und Bargeld fehlten.
Bargeld war zu ersetzen, aber der Schmuck, darunter befanden
sich Familienerbstücke, die ihr niemand ersetzten
konnte. Da war Schmuck dabei, der ihrer Ururgroßmutter
noch gehört hatte. Alles fort und der Rest ihres Eigentums,
der sich noch in der Wohnung befand, lag zertrümmert
vor ihr. Beatrix kam es so vor, als läge ihr Leben
gleich mit zerschlagen vor ihr. Sie war eine toughe Frau,
die hart arbeiten konnte und nicht so schnell weinte. Aber
jetzt hockte sie inmitten etwas was einmal ihre Wohnung
gewesen war und war nahe dran in Tränen auszubrechen.
Manuel sollte sich nicht lange ungeschoren bleiben. Frau
Wagners gehörloser Nachbar hatte ihn beobachtet und
ihn unter den zahlreichen Bildern bei der Polizei identifiziert.
Jetzt hatten sie ihn doch wirklich vor Gericht gezerrt.
Der Gebärdendolmetscherin fiel fast alles aus dem
Gesicht, als sie den Angeklagten erkannte. Manuel dagegen
war so mit sich und seiner Überheblichkeit beschäftigt,
daß er keine Notiz von ihr nahm. Wie üblich
gebärdete er sich auf so unerträglich Art bis
es sogar seinen Anwalt peinlich wurde, solch einen Mandanten
zu haben. Erst als Aurelia die Anwesenden über den
vollen Sachverhalt aufklärte, merkte er auf. Aurelia
erzählte, wie sie Manuel reingelegt hatte. Und heute
sollte die Arbeit ihr richtig Spaß machen. Mit der
reinsten Herzensfreude übersetzte sie Beatrix gehörlosen
Nachbarn die anschließenden Plädoyers des Staatsanwaltes
sowie des Rechtsanwaltes, wo sogar sein Anwalt ihm so richtig
die Meinung geigte, was Aurelia riesig freute. Als auch
noch der Richter genau und ausführlich in der Urteilsbegründung
sich über den Mandanten ausließ und ihm auch
noch Sozialstunden aufgab, wäre sie am liebsten den
Richter um den Hals gefallen. Aber sie ließ es bleiben.
Schließlich wußte sie, was sich gehört.
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