"Dienstag, 21.08.07"

Der Fall:
Der 18-jährige Michael soll versucht haben, Pfarrer Johann nachts auf dem Friedhof zu ermorden - er hatte bei der Beerdigung seines Vaters eine gehässige Grabrede gehalten. Wollte sich der Angeklagte an den Geistlichen rächen? Zur Tatzeit fand aber auch eine private Party auf dem Friedhof statt.

--------------------------------------------------------------------

Normalerweise aß Pfarrer Johann Kirchstreusel für sein Leben gern. Nur heute wollte er ihn überhaupt nicht schmecken, denn er hatte die undankbare Aufgabe der erst kürzlich zur Witwe gewordenen Frau Sattler zu erklären, daß ihr Mann nicht kirchlich beerdigt werden konnte. Herr Sattler hatte sich aufgehängt, da er durch den unheilbaren Lungenkrebs nicht zur Belastung für seine Familie werden wollte, so der Abschiedsbrief. Nun, die Kirche hatte da feste Regeln wie er in diesen Fall vorzugehen hatte. Nur wie erklärte man es einer Frau, die sich ganz offensichtlich seit Stunden die Augen ausweinte. Jetzt saß er in ihren Wohnzimmer und starrte den Kuchen an, als müsse der es der aufgelösten Frau erklären. Er wünschte sich meilenweit weg. Wenn er ihr das so ungeschminkt sagte, würde sie vielleicht hysterisch werden. Und sie war ganz eindeutig eins seiner Schäfchen, daß jetzt ganz besonders Trost bedurfte. Ihre verweinten Augen hefteten sich ganz fest an ihn, als sei er ihr letzter Rettungsanker. Ihr Sohn Michael dagegen schien ihn mit finsteren Blicken durchbohren zu wollen. Jetzt mußte eine schnelle Lösung her. Obwohl er fest überzeugt war, daß ihr Mann eine Todsünde begangen hatte, stimmte Pfarrer Johann nach langen Hin und Her doch einer kirchlichen Beerdigung zu. Die Grabrede allerdings würde eine harte Nuss werden.

Den Ablauf der Beerdigung nahm Michael kaum wahr. Er bemerkte kaum seine Freundin, die ihn tröstend umarmte, noch nahm er die vielen Beileidswünsche seiner Verwandten wahr. Für ihn war es unfassbar, daß es wirklich sein Vater war, der dort in diesen Sarg lag. Sein Vater war so lebendig gewesen. Jedes Mal wenn er nach Hause kam, suchte er seinen Vater um erneut zu entdecken, daß der ja jetzt tot war. Wielange würde er brauchen um das endgültig zu begreifen? Er sah seine Mutter an, die hatte wenigstens den Trost, daß sein Vater wenigstens kirchlich beerdigt wurde. Es war so wichtig für sie gewesen. Er schöpfte selbst auch ein wenig Trost aus diesen Gedanken, jedenfalls bis der Pfarrer seinen Mund aufmachte und mit der Grabrede begann. Statt tröstender Worte predigte Pfarrer Johann, daß Herr Sattler eine Todsünde begangen hatte. Gott gibt und nimmt das Leben, sagte er mit salbungsvoller Stimme. "Selbstmord ist wie Mord und das ist auch eine Sünde." Den Teil mit den Höllenfeuer überstand seine Mutter noch klaglos, aber als er behauptete, daß es keinen Platz für seinen Vater neben Gott geben würde, öffnete sich ihr Mund zu einen lautlosen Schrei, sie starrte Pfarrer Johann an wie eine Erscheinung aus der Hölle um danach zusammenzubrechen. Michael wußte kaum was er tat, nur eins wußte er, er wollte Pfarrer Johann so schnell wie möglich an die Gurgel springen. Es brauchte mehrere Verwandte um ihn vom Pfarrer wegzuziehen. Tanja fand, daß es jetzt an der Zeit war, soviel Abstand zwischen Pfarrer und Michael wie möglich zu schaffen. Irgendwie lotste sie ihn nach Hause. Aber auch auf dem Nachhauseweg beruhigte sich Michael nicht. Er tobte und schwor, daß Pfarrer Johann sein Fett noch abkriegen würde. Tanja sah ihn an und erkannte ihren Freund kaum noch wieder.

Nachdem sie Michaels Vater beerdigt hatten, begann Michael sich zu verändern. Seine Fröhlichkeit wich einer tiefen Ernsthaftigkeit die Tanja kaum aushalten konnte. Natürlich sie konnte verstehen, daß er um seinen Vater trauerte, aber mit diesen neuen Michael konnte sie nichts mehr anfangen. Er war so erwachsen geworden und es schien ihr als hätten sie nichts mehr gemeinsam. Anfangs wollte sie es noch nicht wahrhaben, dann wurde ihr aber immer bewußt, daß ihre Beziehung einfach nicht mehr funktionierte. Sie beschloß abzuwarten, vielleicht würde die Zeit ihn wieder in ihren alten Michael zurückverwandeln, der auch mal von Herzen albern sein konnte und jeden Spaß mitmachte. Der alte Michael kehrte aber nicht mehr zurück. Mitte Mai machte sie Schluß mit Michael. Vielleicht war es gemein von ihr, aber sie fühlte sich erleichtert. Michael, fiel erst recht aus allen Wolken, als sie mit Dennis zusammenkam. Dennis konnte nämlich gar nichts, außer Ärger machen und das Geld von seinen Vater ausgeben.

Dennis war tatächlich von Beruf Sohn. Er wäre gar nicht auf den abwegigen Gedanken gekommen eine Ausbildung zu machen, denn das würde ja bedeuten, daß er eventuell vor zwölfe am Mittag aufstehen mußte und am Ende mußte er sich sogar noch Vorschriften machen lassen. Das war ganz entschieden nur was für Spießer und nichts für einen so coolen Kerl wie ihn. Tanja hatte eine tolle Figur, war hübsch und außerdem war sie für jeden Spaß zu haben. Bloß ihr Exfreund war lästig, denn der hatte sich anscheinend dazu entschlossen wie eine Klette an Tanja zu kleben. Michael dagegen hatte zwar die Trennung halbwegs akzeptiert, aber es wollte bloß nicht in seinen Schädel, daß Tanja jetzt mit Dennis ging. Wo Dennis war, da war der Ärger nicht weit und er wollte Tanja vor genau diesen Ärger beschützen. Seinetwegen konnte sich Dennis deswegen auch auf dem Kopf stellen. Tanja hatte immer noch schlechtes Gewissen wegen Michael und wollte deswegen ihm nicht die Meinung sagen.

Falls Michael von Dennis neuesten blöden Idee gewußt hätte, hätte er Tanja notfalls wahrscheinlich auch an ihren Haaren von ihm weggezerrt. Seine tollen Ideen hatten Dennis nämlich auch schon Ärger mit dem Gericht eingetragen und wegen einer Körperverletzung war er zu Sozialstunden verdonnert wurde. Man erwartete doch wirklich von ihm, daß er auf einen Friedhof arbeitete und Grabsteine säuberte und so ein Zeug. Wenn er sich dort schon die Hände schmutzig machte, dann durfte er wohl doch auch den Schlüssel dazu benutzen um so eine richtig geile Fete da zu feiern. Tanja und Christian waren schnell dazu überredet. Wie alles was Dennis begann, geriet außer Kontrolle. Sie betranken sich mit Bier und als das alle war vergriffen sie sich sogar an dem guten Messwein und das alles an einen Lagerfeuer. Als das ihm auch noch zu langweilig geworden war, hielt es Dennis für eine spitzenmäßige Idee Christian doch zum Spaß zu beerdigen. Christian hielt das zuerst auch für lustig, bis er sich nicht mehr bewegen konnte und Dennis ihn auch nicht wieder rausholen wollte. Dennis lächelte ihn ganz gräßlich an, verzierte ihn auch noch mit einen Kranz um sich danach mit Tanja in aller Seelenruhe ins Gebüsch zu verziehen. Vermutlich nicht um ihr dort die vielen schönen Sternlein zu zeigen. Während der verbitterte Christian wortwörtlich ganz tief im Schlamassel steckte, dachte er scharf darüber nach, ob Dennis wirklich ein so guter Kumpel war. Was keiner von ihnen wissen konnte, jemand hatte den guten Pfarrer Johann alarmiert.
Unterdessen klapperte Michael sämtliche Stammkneipen von Dennis ab um Tanja zu suchen. Irgendeiner von Dennis ewig betrunkenen Kumpanen verriet ihm, daß er auf dem Westfriedhof zu finden sei. Wütend machte sich Michael auf den Weg.

Mindestens genauso wütend machte sich Pfarrer Johann auf dem Weg zum Westfriedhof. Ein anonymer Anruf hatte ihm verraten, daß dort finstere Frevler am Werke waren. Eine Schande war das. Außerdem hatte er es sich gerade vor dem Fernseher gemütlich machen wollen und ein Ausflug auf dem Friedhof war das letzte was ihm in den Sinn gekommen war. Während Michael quasi über Christians Kopf stolperte und der ihm gezwungener Maßen über Tanja Rede und Antwort stehen mußte, nahm das Unheil seinen Lauf. Herr Pfarrer war nämlich entschlossen dem Frevel ein Ende zu setzen und wollte sofort die Polizei holen. Hektisch versuchte Michael Christian noch auszubuddeln, aber als der immer blöder wurde und sich über seine Langsamkeit beschwerte, beschloss er ihn dort zu lassen wo er war. Irgendwie hatte der es doch nicht anders verdient. Inzwischen hatte sich Dennis, der nicht schon wieder Sozialstunden kriegen wollte, dazu entschlossen den Pfarrer mit einen Stein in seiner Hand ins Land der Träume zu schicken. Dann würden sie unbemerkt fliehen können und alles wäre in bester Ordnung. Pfarrer Johann lag wie eine gefällte Eiche und rührte sich nicht mehr. Zum ersten Mal in seinen Leben bekam Dennis richtige Panik. Soviel verstand er auch von Jura, daß er für einen Mord bestimmt nicht mit Sozialstunden davonkommen würde. Es war Michaels großes Pech, daß ausgerechnet sich der Kofferraum seines Autos dazu anbot, die "Leiche" verschwinden zu lassen. Michael, der nichts von der Aktion mitbekommen hatte, lief zu seinen Wagen und fuhr mit seinen unfreiwilligen blinden Passagier davon.

Die Ereignisse sollten sich überschlagen. Pfarrer Johann war nämlich gar nicht tot und nach einen Riesenschrecken überlegt er sich ganz bestimmt nicht seinen Schicksal zu ergeben, das gar drohend über ihn lauerte. War es eine göttliche Eingebung? Er zerstörte von innen eins der Rücklichter und hoffte darauf, daß die Polizei den Wagen anhalten würde. Und sein Schutzengel stand ihm treu zur Seite. Als die Polizei den Wagen anhielt um Michael auf sein kaputtes Rücklicht hinzuweisen, öffneten sie auch den Kofferraum. Wie vom Kopf geschlagen, starrten die Beamten und Michael auf einen wild zeternden Johann, der Stein und Bein schwor, daß Michael ihm ans Leben gewollt hätte. Ehe er sich es versah, wurde Michael verhaftet. Seine größte Sorge war, wie das seine Mutter auch noch verkraften sollte. Denn leider wußte er überhaupt nicht, wie er seine Unschuld beweisen sollte. Er konnte nur hoffen, daß der Richter die Wahrheit erkennen und ihm Glauben schenken würde.


cocosgirl




 

 © richter-alexander-hold-fanpage.de