"Montag, 04.12.06"
Der Fall:
Die 18-jährige Anja soll aus dem Biologie-Unterricht
ein Kuhauge gestohlen und ihren verhaßten Mitschüler Marcel
in einen Cheeseburger serviert haben.
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Wenn Anja jemand erzählt hätte, daß es machbar wäre ihre
und Julians Freundschaft zu gefährden, hätte sie ihn ausgelacht
und einen Vogel gezeigt. Julian und sie kannten sich schon
ewig, oder genauer gesagt noch aus dem Sandkasten. Wenn
man jemanden schon so lange kannte, dann konnte man doch
wohl mit Recht behaupten ihn gut zu kennen. Und Anja glaubte
zu wissen genau wie sich für Julian einsetzen würde, würde
Julian auch sie niemals im Stich lassen. Als Marcel also
neu in die Klasse kam und gleich anfing den Boss zu spielen
und komischerweise alle mitmachten, sorgte sie sich noch
nicht. Julian würde diesen Zirkus niemals mitmachen. Aber
da sollte sie sich täuschen.
Anja war noch nie einer der beliebten Mädchen in der Klasse
gewesen. Sie schwamm zu gern gegen den Strom und hatte
ihren eigenen Kopf. Außerdem weigerte sie sich den allgemeinen
Modewahn mitzumachen. Selbst wenn sie es sich hätte leisten
können, die Angeberei mit der Markenmode überließ sie gern
anderen. Eigentlich hatte man das bis jetzt auch akzeptiert
und sie in Ruhe gelassen. Aber Marcel entschied für die
Allgemeinheit, daß Anja ganz offiziell ein "Freak"
war. Und die Mehrheit der Klasse folgte ihm wie üblich.
Jetzt wäre es wohl an Julian gewesen für Anja in die Bresche
zu springen. Aber der hielt den Mund. Anja wollte eigentlich
nur ihre Ruhe haben wie früher auch. Aber damit war es
jetzt vorbei. Ihr blieb nichts anderes übrig als die unglaublich
geistreichen Witzeleien von Marcel in Würde zu ertragen
und so zu tun, als würde sie gar nichts davon mitbekommen.
Sie ignorierte ihn und malte vor sich hin. Marcel, der
natürlich mal wieder zeigen mußte, wie unglaublich cool
und tough er war, entriß ihr ihren Ordner und schmiß den
in den Brunnen. Alles lachte, sogar Julian grinste. Anja
lief feuerrot im Gesicht an und beschloß Julian dafür zu
ignorieren. Das sollte nicht schwer sein. Denn Julian schien
seinerseits an Amnesie zu leiden und sie vergessen zu haben.
Er schenkte ihr keinen Blick mehr.
Man kann sich vorstellen, daß Anja nach der Schule möglichst
viel Abstand von Marcel haben wollte. Aber Marcel schien
regelrecht vernarrt in sie zu sein und tauchte sogar im
Bistro auf, wo sie neben der Schule arbeitete. Im Schlepptau
hatte er übrigens immer Julian dabei, damit der sich gleich
an seinen lustigen Einfällen erfreuen konnte. Und Einfälle
hatte er, daß mußte man ihn lassen. Wenn der sich das in
den Kopf gesetzt hatte, dann konnte er einem so richtig
das Leben zur Hölle machen. Egal was sie tat, er beschwerte
sich immerzu über sie. Sie war zu unfreundlich, der Kaffee
war zu kalt, der Kaffee war zu heiß, der Becher zu voll,
der Becher zu leer, die Beschwerden wollten gar kein Ende
nehmen. Daraufhin nahm sie ihr Chef tüchtig ins Gebet,
obwohl sie gar nichts falsch gemacht hatte. Es beschwerte
sich doch sonst keiner über sie, daß mußte der Chef doch
auch mitbekommen haben. Aber womit Marcel sie wirklich
in den Wahnsinn trieb, das war sein Lieblingswitz: Gläser
auf den Boden werfen. Dann sah er fröhlich zu wie Anja
alles wieder auffegen durfte. Dann machte er gleich eine
Neubestellung und Anja wußte, sie konnte den Besen gleich
draußen lassen. Am liebsten hätte sie Marcel mit dem Besen
einen Scheitel gezogen. Wütend und anklagend sah sie Julian
an. Doch der schwieg sich aus. Am liebsten hätte Anja geweint.
Wie konnte der nur, der wußte doch wie wichtig der Job
für sie war.
Julian selbst fand Marcels Späße gar nicht so komisch.
Eigentlich tat ihm Anja leid, zum Beispiel wo Marcel Anjas
Kassenschlüssel in den Abfall geworfen hatte und sie den
aus dem ganzen Dreck rausfischen mußte, das war echt fies
gewesen. Aber das konnte er schlecht zugeben, wenn er nicht
das nächste Ziel für Marcels Witze sein wollte. Und das
würde er, wenn bekannt würde, daß er mit der "Pommes-Anja"
befreundet war. Warum konnte sie sich denn nicht einfach
ein bißchen mehr anpassen? Sich anders anziehen zum Beispiel.
Julian wollte einfach kein Außenseiter sein, aber obwohl
er sich Marcel total anpaßte, verschonte ihn das keineswegs
vor derben Späßen. Einmal war er mit Marcel auf einen Weinfest
gewesen und er hatte gut einen über den Durst getrunken.
Danach war er selig eingeschlafen und hatte mit offenen
Mund geschnarcht. Ein großer Fehler. Marcel und seine tollen
Freunde trichterten ihn weiterhin Alkohol ein, bis er dann
ins Delirium fiel. Seine erbosten Eltern durften dann erfahren,
daß ihr Sohn mit dem Notarztwagen mehr als stockbesoffen
ins Krankenhaus gebracht wurde. Sie waren außer sich vor
Zorn gewesen und sein Vater hatte gebrüllt, den Führerschein
könne er sich abschminken bis mindestens nach seinen vierzigsten
Geburtstag. Jemand anderen hatte Marcel bei einer Feier
ins Freie gestoßen, wo er bei Minusgraden ausharren mußte,
viel zu leicht bekleidet. Und einem anderen hatte er mit
der Schubkarre einen Hügel runtergestoßen. Ja, Marcel war
wirklich kein netter Kerl und seine Ideen hätten eher zu
Alfred Hitchcock gepaßt.
Anja fühlte sich richtig gräßlich. Aber sie hatte einen
Dickkopf und sie war fest entschlossen, das letzte Jahr
des Gynasiums irgendwie zu überstehen und Marcel und Julian
einfach nicht mehr zu beachten. Der erste war der gemeinste
Kerl auf diesen Planeten und der andere, der war es nicht
Wert ihm auch nur eine Träne nachzuheulen. Diesmal sollte
sie im Biologie-Unterricht auf ihre Grenzen stoßen. "Heute
sezieren wir ein Kuhauge" erklärte ihre Lehrerin und
grämte sich deswegen halb zu Tode. Ihr war gar nicht wohl
dabei ihren Schülern ein Seziermesser in die Hand zu geben,
vor allen Dingen wenn sich darunter Marcel befand, der
ausgerechnet auf ihre Schule hatte kommen müssen. Anja
wurde beim Anblick des Kuhauges übel und sie weigerte sich.
Als Vegetarierin fand sie es schon schlimm genug Burger
bereiten und servieren zu müssen. Aber ein Kuhauge sezieren.
Das ging zu weit. Die Lehrerin erklärte sich einverstanden,
daß sie stattdessen an einem Referat arbeitete. Alles wäre
gut gewesen, wenn Marcel sich nicht dafür entschieden hätte
mit Kuhaugen zu werfen. Der Rest der Klasse folgte seinen
Beispiel. Anja lief weiß an und dachte stur "Ich tu
einfach so als sei ich nicht da. Ich bin hier gar nicht.
Das hier kann mir nichts anhaben." Die Kuhaugen prasselten
auf sie nieder und sie malte vor sich hin. Ihre Lehrerin
hatte nicht diese eiserne Kontrolle. Erst brüllte sie,
dann sah sie aus als ob sie Tränen ausbrechen wollte und
dann rannte sie in Windeseile zum Rektor. Sollte der doch
die Meute bändigen. Die Klasse nahm es als Signal um Pause
zu machen. Julian kehrte noch mal zur Klasse zurück und
sah Anja, wie sie mit spitzen Fingern und mit einen Taschentuch
ein Kuhauge griff und es in die Tasche stopfte. Was um
alles in der Welt wollte sie nur damit? Aber er konnte
sie kaum danach fragen.
Anja wollte das Kuhauge nicht etwa als Souvenir an einen
schönen Wintertag. Nein, sie hatte ihre Pläne damit und
die zogen Marcel mit ein. Der war doch so ein Scherzkeks,
dann wollte sie ihn doch auch mal so einen lustigen Streich
spielen. Mal sehen, ob er auch soviel Humor hatte, wenn
der Spaß auf seine Kosten ging. Sie wußte, daß Marcel es
sich nicht nehmen lassen würde wieder im Bistro zu erscheinen.
Und richtig. Großspurig kam er daher und bestellte einen
Cheeseburger. Perfekt! Anja ging mit einem Lächeln in die
Küche, bereitete den Cheeseburger vor, wie auch die anderen
vor ihm. Aber dieser hier würde eine besondere Zutat enthalten.
Zufrieden grinsend zog sie das Kuhauge hervor und legte
es zwischen Salatblatt und Frikadelle. Außerdem garnierte
sie das ganze mit Maden - lebenden wohlgemerkt. Mit einen
sehr freundlichen Lächeln ging sie zu Marcel und servierte
ihm das ganze. "Sieh an, die spurt" dachte er
hochzufrieden und nach einen Telefonat, biß er herzhaft
in seinen Cheeseburger. Genüßlich kaute er auf dem Burger
herum und dachte gerade nach, womit er Anja heute wieder
das Leben schwer machen könnte, da merkte er es. Etwas
krabbelte in seinen Mund herum. Entsetzt spuckte er den
Bissen heraus und sah es. Inmitten von noch lebenden und
zerkauten Maden glotzte ihn ein Kuhauge an. Marcel würgte
und rannte so schnell seine Füße ihn tragen konnten zur
Toilette. Dort übergab er sich bis er Krämpfe bekam. Damit
sollte er sich übrigens die nächsten zwei Tage beschäftigen.
Anja konnte nicht von sich behaupten, daß sie Mitleid mit
Marcel hatte. Nachdem der Laden vom Gesundheitsamt auf
den Kopf gestellt und alles für sauber befunden wurde,
fiel der Verdacht sofort auf Anja.
Natürlich kam es so, wie es kommen mußte. Für jemanden,
der andere dazu brachte Eier zu essen bis ihnen schlecht
wurde, hatte Marcel verdammt wenig Humor. Anja wurde angezeigt
und die Sache ging vor Gericht. Trotzig funkelte Anja alle
Anwesenden an. Sollte hier nur keiner von ihr erwarten,
zu behaupten, daß es ihr leid tun würde. Die Krönung war
dann auch noch Julian, ihr ehemaliger bester Freund. Der
sagte ihr nämlich glatt ins Gesicht, sie wäre doch selber
schuld, daß Marcel sie ärgern würde, so wie sie rumlaufen
würde und alles. Jetzt tat ihr dann doch etwas leid. Nämlich,
daß sie nicht gleich ein Kuhauge für Julian mitgenommen
hatte.
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