"Freitag, 17.11.06"

Der Fall:

Die 16-jährige Veronika von Lörringen ist angeklagt, ihrem Stiefvater drei Stahlkugeln in den Po und in den Oberschenkel geschossen zu haben. Warum ist das Verhältnis zwischen den beiden so angespannt? Hat Veronikas Stiefvater vielleicht noch andere Feinde?

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Jeder sagte es auf der Beerdigung. Die Zeit heilt alle Wunden. Alles wird wieder gut. Du kannst immer zu mir kommen. Lauter Sätze, die Veronika nicht halfen. Am liebsten hätte sie diesen Tag komplett aus ihren Gedächtnis gestrichen, samt all dieser Menschen, die es doch so gut mit ihr meinten. Das konnte doch nicht wahr sein. Ihr Vater wurde begraben und trotzdem drehte sich die Welt weiter. Die Zeit verging, aber Veronika konnte es immer noch nicht begreifen, das ihr Vater wirklich in diesen schicken Sarg aus Eiche lag. Alles schien so unreal zu sein. Veronika begann in ihrer eigenen Welt zu leben. Sie bemerkte wohl, daß man über sie sprach und daß ihre Mutter sich große Sorgen um sie machte. Aber alles zog an ihr vorüber, als würde sie es gar nichts mehr angehen. Der Schock war um so größer, als ihre Mutter eines Tages ihr Dietmar vorstellte, der der "neue Mann" in ihren Leben war. Wann war das denn geschehen? Veronika konnte auch nicht begreifen, daß alle jetzt von ihr erwarteten, vor Freude zu strahlen. Waren denn alle verrückt geworden? Und dann ihre Mutter, die verkündete, sie würden jetzt wieder eine richtige Familie sein. Was? Veronika verstand rein gar nichts mehr.

Sieglinde hatte ihren ersten Mann aufrichtig betrauert. Aber sie wußte auch ganz genau, daß er niemals von ihr erwartet hätte, für den Rest ihres Lebens allein zu bleiben. Die Zeit war hart für sie gewesen, viele Freunde hatten sie im Stich gelassen und Veronika hatte in einer Welt gelebt, in der sie niemand erreichen konnte. Dietmar war für sie da gewesen und sie liebte und brauchte Dietmar und konnte ihn gar nicht mehr aus ihren Leben wegdenken. Das Veronika ihm nicht freudestrahlend um den Hals fiel, konnte sie begreifen. Aber sie war felsenfest davon überzeugt, daß auch Veronika Dietmar mögen würde, wenn der erste Schock erstmal überwunden war. Sie schleiften Veronika auf jeden Ausflug mit, überzeugt davon, daß es ihr gut tun würde. Veronika machte jeden Ausflug ihrer Mutter zu Liebe mit, fiel aber fast vom Glauben ab, als ihr Stiefvater dann mit der Idee kam, sie und Dietmar könnten doch zu zweit was unternehmen "um sich besser kennenzulernen." Anscheinend hatte der eine größere Schramme, als sie gedacht hatte. Mochte Dietmar sich noch so liebenswürdig geben. Veronika begegnete ihm mit der gleichen höflichen Gleichgültigkeit wie am ersten Tag.

Das ihre Mutter einen neuen Mann hatte, konnte Veronika ja noch halbwegs begreifen. Der Spaß hörte für sie aber endgültig auf, als der sich einbildete, er könne ihr irgendwelche Vorschriften machen "Was machst Du, wo gehst Du hin, es ist zu spät jetzt" Und das war auch noch sein voller Ernst. Langsam wurde es echt lächerlich."Du hast doch wohl eine Vollmeise, Du bist doch nicht mein Vater, das geht Dich gar nichts an" brüllte sie zurück und wurde das seltsame Gefühl nicht los, als habe sie Dietmar gerade einen Riesengefallen getan. Konnte doch wohl nicht sein, oder? Ihre Mutter sah sie jedenfalls seit neuesten so an, als hätte sie eine Fremde vor sich. "Nicht in diesen Tonfall, Veronika, ich möchte nicht dieses Geschrei im Haus." Wunderbar, ganz klare Sache. Dietmar schaffte es spielend sie als Böse darzustellen und er war natürlich der Nationalheilige, oder wie? Kein Wunder, daß sie es nicht mehr zu Hause aushielt und der hatte ihr noch lange nichts zu sagen. Zuerst verschwand sie nur für Stunden aus dem Haus, aber aus Stunden wurden Nächte, wo niemand wußte, wo sie war.

Sieglinde hatte die schlimmsten Vermutungen, wo Veronika sich aufhalten könnte und noch viel schlimmer, was sie gerade machen könnte. Dabei war die Wahrheit ganz simpel. Veronika hielt es einfach nicht mehr zu Hause aus und bei ihren Freunden, ganz besonders bei Felix, fühlte sie sich eher verstanden. Seit dieser Typus bei ihnen war, konnte sie überhaupt nicht mehr richtig mit ihrer Mutter reden. Und die absolute Krönung war, daß angeblich sie, Veronika, diejenige war mit der man nicht mehr sprechen konnte. Und die Schuld trug hundertprozentig ihr neuer Macker dran, der es immer wieder schaffte, sie als total schlecht dastehen zu lassen. Veronika wußte, daß ihre Mutter ihr niemals glauben würde, daß Dietmar ein Verhältnis mit Cordula, der Schwester seines besten Freundes, hatte. Nein, die würde sie nur mit diesen total enttäuschten Blick ansehen und natürlich Dietmar glauben. Dieser Gedanke machte sie richtig wild vor Wut und diplomatisch war sie nie gewesen. "Du bescheißt meine Mutter von hinten bis vorne mit dieser Cordula, " brüllte sie Dietmar an. Dietmar nannte sie bloß verrückt. Woher weiß diese Göre bloß davon, überlegte er, am Ende glaubt ihr Sieglinde vielleicht doch noch. Höchste Zeit Sieglinde davon zu überzeugen, daß ihre Tochter so eifersüchtig war, daß man ihr kein Wort glauben konnte. Und er hatte auch schon eine Idee.

War Veronika vorher schon ewig schlecht gelaunt und patzig, so kannte sie nach der Entdeckung gar kein Halten mehr. Sieglinde vertraute Dietmar an, daß sie ihre Tochter gar nicht mehr wiedererkennen würde. Das war das Stichwort für Dietmar. Er brachte Sieglinde auf den Gedanken, daß Veronikas schlechter Umgang daran schuld sei. Dabei malte er das Bild so hübsch aus, daß er Sieglinde förmlich die Idee aufzwang, daß ihre Tochter vielleicht Drogen nehmen könnte. Dann verschwanden auch noch die Brilliantohringe aus dem Schlafzimmer. Das Drama nahm seinen Höhepunkt, als Sieglinde schließlich im Nachttisch ihrer Tochter nicht nur den Schmuck fand, sondern auch seltsame Tabletten und Hanfpflanzen. Veronika sah sie sprachlos vor Wut an. Mit diesen Zeug hatte sie nichts zu tun. Das konnte nur einer dort hingelegt haben. "Das war dieser Penner von Dietmar" kreischte sie sofort los, anstatt zu versuchen ruhig mit ihrer Mutter zu reden. Diese fühlte sich total überfordert von der Situation und noch schlimmer, sie holte Dietmar hinzu. Als der auch noch sie so scheinheilig ansah und dazu auch noch meinte "Drogen Veronika, Du brauchst ganz dringend Hilfe." tobte sie so unvermittelt los, daß beide gar nichts mehr von ihr hören wollten und ihr Hausarrest verpaßten. Das war nicht der beste Zeitpunkt um über Dietmars Verhältnis zu sprechen. Veronika tat es trotzdem. Der behauptete dann glatt, er müßte raus um sich abzukühlen, dabei schaffte er es doch wirklich total fertig dabei auszusehen.

Ausgerechnet an dem Tag, sollte Cordulas Bruder Ingolf vorbei kommen, der ein offenes Ohr für Sieglinde hatte. Er meinte es wirklich bloß gut mit Veronika, als er mit ihr reden wollte, weil sie doch so eine schlechte Zeit durchgemacht hatte. Ingolf hatte nämlich die Idee, daß man mit freundlichen Worten viel mehr erreichen konnte, als mit bloßen Hausarrest und so wollte er ihr mit Güte und Verständnis begegnen. Aber als er Veronika mit lauter Zornesflecken im Gesicht sah, hatte er seine Zweifel, die sich bald bestätigen wollten. Veronika wollte gar nicht getröstet werden. "Raus" brüllte sie, "behalt Deinen Scheiß bloß für Dich" Außerdem bedachte sie den armen Ingolf mit derartigen Ausdrücken, daß der ganz blaß wurde. Noch blaßer wurde er, als Veronika sich etwas Seltsames in die Tasche stopfte und herumschrie, daß sie Dietmar jetzt "endgültig in den Arsch treten wollte." Dann lief sie zornesrot aus dem Zimmer und verschwand in die gleiche Richtung wie Dietmar vorher auch. Das hier nahm kein fröhliches Ende, stand für Ingolf fest, der immer noch erschüttert von Veronikas Wutausbruch war.

Veronika wußte, daß Dietmar zum Schwimmen im Waldsee gefahren war. Das seltsame, was sie sich in die Tasche gestopft hatte, war eine Steinschleuder gewesen. Normalerweise sollte man mit einer Steinschleuder lieber nur Papierkugeln schießen und sich am besten nicht dabei erwischen lassen, aber Veronika wollte sich bestimmt nicht mit einfachen Papierkugeln begnügen. Ihre Wut ließ keinen vernünftigen Gedanken mehr zu. Sie konnte sehr gut zielen damit und Dietmar war wie er nackt aus dem See herauskam und ihr die Rückseite präsentierte eine mehr als nur perfekte Zielscheibe. Dietmar wußte nicht wie ihm geschah, als ihn plötzlich etwas mit ziemlicher Wucht am Hintern und am Oberschenkel traf. Er faßte sich an eben diese Stellen und alles war voller Blut. Veronikas Pech war, daß Cordula alles mit angesehen hatte. Jetzt fanden alle, sie hätte das Maß endgültig überschritten und stimmten einer Anzeige zu.

Danach behandelte sie Sieglinde höflich aber so unverbindlich, daß Veronika hätte heulen können. Jetzt hatte sie auch noch diese Rechnung von 10.000 Euro für diesen Ring gefunden, den Dietmar todsicher für Cordula hatte anfertigen lassen, da er doch ein Herz mit einen C. trug, aber das würde ihre Mutter ihr bestimmt nicht mehr glauben. Wenn jemand zu ihr hielt, dann war es Felix. "Beobachte Cordula und Dietmar," schärfte sie ihm ein "folge den beiden und mach Fotos." Wenn sie erstmal vor Gericht stand, würde sie handfeste Beweise brauchen, die ein für alle Mal belegten, daß sie nicht die hysterisch Durchgeknallte war für die sie alle hielten. Leider brachte allein Dietmars Anblick sie bei Gericht ausgerechnet dazu, sämtliche Ausdrücke zu benutzen, die sie kannte. Das lief gar nicht gut. Und als Felix aufgerufen wurde, war der nicht da. Wo zur Hölle blieb er? Veronika konnte nur hoffen, daß er bald kommen würde. Vom Richtertisch kamen strenge Blicke. Sie wußte, daß sie sich zusammenreißen mußte, aber das klappte wirklich nicht. Der Anwalt neben ihr seufzte verstohlen, das hier würde noch ein hartes Stück Arbeit werden.


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