"Mittwoch, 04.10.06"

Der Fall:

Die 14-jährigen Max und Toni sollen das Auto von Tonis Schwester gestohlen haben, um auf das Konzert der Gruppe "Tokio Hotel" zu fahren. Auf der Autofahrt haben sie sogar Max Mutters angefahren. Wollten die beiden wirklich nur auf das Konzert? Oder steuerte Max absichtlich auf seine Mutter zu?

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Max saß im Keller bei seinen Automagazinen und dachte über eine sehr wichtige Frage nach. Wie lange würde sein Stiefvater noch da oben in der Wohnung toben, weil er eine Vase zerbrochen hatte? Er hatte einen Moment nicht aufgepaßt und da war es halt geschehen. Aber wenn Max ehrlich war regte sich Siggi immer über ihn auf. Sein Stiefvater brüllte ständig herum und Max war davon überzeugt, daß er garantiert vor seinen 20. Geburtstag noch stocktaub sein würde. Das brachte ihn auf den Gedanken, sich seinen richtigen Vater vorzustellen. Wie der wohl war? Ob der auch so schnell die Nerven verlor und dann alles zusammenschrie? Seine Mutter konnte er schlecht fragen, denn die wurde bei dem Thema erst fahrig-nervös und dann lief sie den halben Tag wieder mit diesen traurigen Gesicht herum. Ob sein richtiger Vater ihn auch für dämlich, trampelig und für eine Zumutung halten würde? Dieser Gedanke machte ihn traurig, und sagte sein Stiefvater nicht immer, genau das würde er sein? Max wühlte in den Magazinen herum, bis er plötzlich auf ein Schreiben stieß. Max las: Name des Kindesvaters: Paul Graf. Schlagartig fühlte er sich gar nicht mehr so traurig. Er war glücklich. Sein Vater hatte endlich einen Namen für ihn. Er hieß Paul Graf und wohnte in Euskirchen.

Eigentlich hatte Siggi schon den ganzen Tag schlechte Laune gehabt und die Vase war nur ein willkommener Anlaß seine chronische Wut an Max auszulassen. Wenn Max die Vase nicht zerbrochen hätte, dann wäre es irgendetwas anderes gewesen, was seinen Stiefvater wieder zum ausrasten gebracht hätte.Rita glaubte, wenn sie sich nur genug anstrengte, dann würden sie sich schon alle zusammenraufen und sie wären eine glückliche Familie - für immer! Als Max wieder leise in die Wohnung zurück kehrte, nahm sie ihren Sohn beiseite und flehte ihn an, er möge bitte doch besser aufpassen und seinen Stiefvater nicht immer so wütend machen. Dabei lächelte sie dieses gekünstelte Lächeln und sagte immer wieder dabei "Es ist doch so einfach Ärger zu vermeiden." Ärger vermeiden... wie sollte man Ärger mit jemanden vermeiden, der leider nur allzu wild darauf war? Das hätte Max seine Mutter mal gern gefragt, aber das letzte was er wollte war ihr weh zu tun. Vielleicht lag diese Sucht nach Familienidylle auch daran, daß sie Max größtenteils allein erziehen hatte müssen. Max Vater war verheiratet und fairerweise mußte man sagen, daß er nach Beendigung der Affäre nichts von der Schwangerschaft gewußt hatte. Er wußte gar nicht, daß er einen Sohn hatte.

Rita war unbestritten eine Optimistin was Siggi anging, oder sollte man sagen eine unverbesserliche Schönrednerin? Aber aus Siggi einen Rosenkavalier beziehungsweise einen gütigen Familienvater machen zu wollen, das schaffte auch nicht die größte rosa Brille. Sie kämpfte einen verzweifelten Kampf ihm alles recht machen zu wollen und wollte gar nicht einsehen, daß dies vom Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Siggi war nun mal kein Familienmensch. Frauen waren für ihn nur zum Herumkommandieren da und für andere Zwecke waren sie auch noch gut für ihn. Zärtlichkeit und Romantik war für ihn ein reiner Witz und an den Jungen war er noch weniger interessiert. Halt, für eine Sache war Max dann doch noch gut genug. Für ihn gab es Kindergeld, was er zusammen mit Ritas Lohn aus der Reinigung einkassierte. Sie wohnten schließlich bei ihm, seiner Meinung nach stand ihm das Geld einfach zu. Rita sagte nichts dazu. Sie beschwerte sich auch nicht darüber, daß er sie verprügelte und ihrem Sohn das Leben zur Hölle machte. Solche Tatsachen ignorierte sie einfach.

Während Siggi weiter Rita und Max tyrannisierte, träumte Max immer öfters von seinem Vater, dabei hörte er gern "Tokio Hotel". Richtig laut konnte er das aber nur bei seinen besten Freund Toni hören, denn sein Stiefvater würde ihm garantiert den Hals umdrehen, wenn er ihn an seiner Anlage erwischen würde. Alles was Max eventuell sogar glücklich machen könnte, mochte Siggi sowieso nicht. Tonis Mutter schwor zwar Stein und Bein, daß dieser gräßliche Krach sie garantiert in den nächsten fünf Sekunden in den Wahnsinn treiben würde, drückte aber beide Augen zu. Max überlegte, daß er auch gern in so einer ruhigen Familie leben würde wie Toni. Hier schrie keiner herum und wenn Toni etwas umwarf, dann war das auch nicht tragisch. Anscheinend konnte es auch ganz anders sein. Vielleicht lag aber auch alles an ihm selbst, daß er alles falsch machte. Heimlich schrieb er seinen Vater einen Brief mit der Bitte ihn aufzunehmen. Er wäre keine Belastung, könnte Spaghetti Bolognese kochen und er hatte sogar 53,70 Euro zusammengespart und Platz würde er auch nicht viel brauchen. Hoffentlich reagierte sein Vater darauf.

Am 21. Mai stand Max in der Küche und trocknete ab. Vielleicht war er zu sehr im Gedanken bei seinen Vater gewesen, vielleicht lag es aber auch an den bösartigen Blicken, die Siggi ihm zuwarf. Auf gar keinen Fall war es Absicht gewesen. Die Salatschüssel fiel aus seinen Händen und zerschellte mit ohrenbetäubenden Krach auf dem Fußboden. Es handelte sich wohlgemerkt um eine einfache Salatschüssel und nicht um den heiligen Gral, aber Siggi tobte genauso los, als sei genau das der Fall gewesen. Max duckte sich hastig, als Siggi ihm die Reste der Schüssel hinterher warf und explodierte "Raus, verschwinde, komm nie wieder" Das und diverse Prophezeiungen, was ihm geschehen würde, wenn er es wagen würde zurück zu kommen. Er kam kaum dazu seine Schulsachen einzupacken. Seine Mutter stand ihm Türrahmen und starrte Max mit einen geisterbleichen Gesicht an. Aber sie sagte kein Wort. Anscheinend wollte sie auch, daß er ging.

Als Max vor der Haustüre der Schmidts stand, war das für Irene keine große Sache den besten Freund ihres Sohnes bei sich übernachten zu lassen. Zumal Max ja die Mutter per Telefon informierte. Er war auch so ein höflicher Junge. Irgendwann kam ihr alles doch komisch vor, als Max sie anflehte, daß er weiterhin bleiben durfte. Als sie dann auch noch merkte, daß er gar nicht mit seiner Mutter sondern mit der automatischen Zeitansage telefonierte, bestand sie auf einen Gespräch mit seiner Mutter. Die sollte doch wohl wissen, daß es Max gut ging. Am anderen Hörer meldete sich Siggi, der unwillige Geräusche von sich gab. Wie es Max ging interessierte ihn nicht. Überhaupt sie solle ihn behalten. Sie wollten ihn nicht mehr haben. Der Mann begann Irene reichlich zu ärgern. Woher sie kam, da sagte man erstens höflich guten Tag am Telefon und grunzte nicht wie ein Schwein und zweitens war Max sein Stiefsohn. Siggi brauchte offensichtlich eine harte Hand und die konnte er haben. Irene erinnerte Siggi nachdrücklich an eine Einrichtung namens Jugendamt und daß sie da ganz schnell mal anrufen könnte. Das wollte Siggi auch wieder nicht, schließlich wäre dann das Kindergeld futsch. "Seine Mutter wird ihn abholen" schnaubte er und knallte den Hörer auf.

Unter zahlreichen Flüchen schickte Siggi Rita aus dem Haus um Max zu holen. Unterwegs versuchte sie sich einzureden, daß alles so halbschlimm war. Siggi war halt temperamentvoll und konnte nichts dafür. Dieses Mal würde alles gut gehen. Zuerst bemerkte sie den Wagen nicht, der in Schlangenlinien über die Straße fuhr. Schließlich sah sie ihn zwangsläufig, denn nachdem der Wagen unter großen Gepolter gegen eine Laterne, einen Gartenzaun und gegen eine Mülltonne geknallt war, erfaßte der Wagen Rita, die über die Motorhaube rollte. Das Auto raste schließlich in eine Bushaltestelle. Aus dem Auto flüchtete niemand anderes als Max und Toni.

Für die anschließende Gerichtsverhandlung war Siggi wie gewohnt keine große Hilfe. Als die Jugendgerichtshilfe bei ihnen klingelte, zeigte er sich von der übelsten Seite. Zur Verhandlung selbst wollte er Rita schon gar nicht gehen lassen. "Was willst ausgerechnet DU dem Richter schon zu sagen haben" tobte er und verbat ihr das Haus zu verlassen. Schließlich war ihr Platz im Haus, wo sie sich ausschließlich um Siggi zu kümmern hatte. Als Siggi dann mit weit offenen Mund auf dem Sofa schnarchte, faßte sich Rita ein Herz und wollte die Wohnung heimlich verlassen. Ausgerechnet jetzt mußte es klingeln. Als sie die Türe öffnete, stand dort eine wohlbekannte Gestalt: Paul Graf. Dann als Siggi rachsüchtig die Tür ansteuerte, rief sie schnell "wir kaufen nichts" und knallte dem verdutzten Paul die Tür vor der Nase zu. Siggi hatte da ein paar Fragen an Rita, wo sie hin wollte und vor allen Dingen, wer dieser Typ vor der Türe war und wollte gerade mit seinen Fäusten nachhelfen, als es wieder klingelte. Dieses Mal war es die Polizei, die Rita zur Gerichtsverhandlung bringen wollten. Na schön, dort würde bestimmt auch dieser Kerl sein, der Rita nachspionierte. "Hepp" kommandierte er "Los, los, los hol mir ein Hemd, dann geh ich mit". Befremdet sahen die Beamten Siggi an. Mit dem würde das Gericht noch seine Freude haben. Aber auch Paul Graf folgte dem Polizeiwagen.


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