"Samstag, 16.09.06"

Der Fall:

Die 18-jährige Jasmin wird beschuldigt, eine ihrer Mitschülerinnen aus der fahrenden S-Bahn geschubst zu haben. Ist eine Mobbing-Serie in der Schule eskaliert? Oder ging der Versuch mit der S-Bahn zu surfen schief?

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Als Karin bei ihrer Oma Martha einzog, sollte das nur eine vorrübergehende Lösung sein. Ihre Mutter war nach Gran Canaria gezogen und Karin sollte nachkommen, wenn ihre Mutter sich eingelebt hatte. Oma Martha war nicht das Problem, aber der Gedanke als "Neue" auf einer anderen Schule anzufangen, das bereitete Karin einige Magenschmerzen. Sie war schüchtern und schon fast ängstlich und fand nicht so schnell neuen Anschluß. Oma Martha war der Meinunung, daß ihre Enkelin schnell neue Freundinnen auf der Schule finden würde, bei einen so netten Menschen wie Karin konnte das doch gar nicht anders sein. Leider gab es auf der Schule Jasmin, die sich dazu entschlossen hatte, den Schulalltag für Karin zur Hölle zur machen. Ihre Freundinnen Roberta, Sabine und Julia, die sowieso immer einer Meinung mit ihr waren, gingen ihr dabei eifrig zur Hand. Es verging kein Tag an dem sie Karin nicht herumschubsten, beleidigten und sogar schlugen. Sie hatte ihnen gar nichts getan, ihre bloße Anwesenheit genügte ihnen anscheinend. Außer ihr litt auch Annabel unter Jasmin und Anhang. Sie hatte sogar noch mehr Angst vor ihnen als Karin, so daß diese sich oft schützend vor sie stellte. Annabel wurde zur ihrer besten Freundin.

Zu Hause weinte sich Karin immer öfters die Augen aus dem Kopf. Ihre Oma, die ihre Enkelin glücklich sehen wollte, riet ihr zuerst mit den Mädchen zu sprechen. Das war an für sich keine schlechte Idee, aber Martha konnte nicht wissen, daß Jasmin weniger daran interessiert war mit Karin Gedanken auszutauschen und wie sollte Karin mit Jasmin sprechen, wenn diese gerade Karins Kopf in die Toilettenschüssel steckte? Vielleicht lag es aber auch daran, daß Martha noch nie einen Menschen wie Jasmin begegnet war und Jasmins Brutalität einfach über ihre Vorstellungskraft ging. Sie tröstete ihre Enkelin damit, daß ihre Mutter sie ohnehin bald nach Gran Canaria nachholen würde. Das in den Briefen ihrer Tochter gar nicht mehr von Karin die Rede war, verschwieg sie ihr lieber.

Wenn Martha mehr über Jasmin gewußt hätte, hätte sie vielleicht mehr über einen Schulwechsel nachgedacht. Jasmin hatte schon einige Male vor Gericht gestanden. zuerst wegen Diebstahl, dann wegen Sachbeschädigung, zweimal hintereinander wegen Körperverletzung und dann wegen Raub. Das letzte Mal hatte der Richter ziemlich dringliche Worte an sie gerichtet, von wegen Zukunftsaussichten. Ihre Antwort machte, daß ihr Anwalt sich meilenweit von seiner unbequemen Mandantin fort wünschte. Jasmin war mit ihren Verhalten ein Alptraum für ihren jeweiligen Anwalt und auch im Gericht zeigte sie keine Spur von Respekt. Die einzige Respektperson, ihr Vater, hatte die Familie verlassen und ihre Mutter war nervenkrank und zu sehr damit beschäftigt nicht einen endgültigen Nervenzusammenbruch zu bekommen. Sie lebte also in ihrer eigenen Welt in der ihre aufsässige Tochter anscheinend gar nicht vorkam und so kam es, daß es niemanden gab der Jasmin Grenzen setzte. Zwei Wochen Dauerarrest hätte manche Leute zum Nachdenken gebracht, aber Jasmins sturen Schädel konnte so schnell nichts beeindrucken.

Karin Schulalltag wurde zum regelrechten Martyrium. Obwohl sie immer bemüht war, soviel Abstand zwischen Jasmin plus Anhängerinnen und sich zu halten, gab es anscheinend kein Entkommen. Egal wo sie war, Jasmin war auch dort und bald gab es in der Schule keine Treppe mehr, die sich nicht heruntergestoßen worden war. Am meisten schien es Jasmin Spaß zu machen, Karins Kopf in die dreckigen Schultoiletten zu tauchen. Vor lauter Verzweiflung versuchte sich Karin Jasmin anzupassen. Sie verließ das Haus ihrer Oma in ihrer üblichen normalen Kleidung und in der Schule zog sie sich winzige Minis und enge Tops an und schminkte sich so stark, daß ihre Oma die Augen aus dem Kopf gefallen wären, hätte sie Karin so gesehen. Stellvertretend für ihre Oma starrte sie Annabel an, als wäre sie gerade von einen fremden Planeten gepurzelt. Aber Karin, die keine Lust für Erklärungen hatte und außerdem ja auch noch so hart wie Jasmin wirken wollte, ging einfach an ihr vorbei. Annabel sah ihr mit offenen Mund nach. Das konnte nur eine Fremde mit Karins Gesicht sein. Außerdem klaute diese Fremde auch noch in Drogerien Schminke. Annabel wußte gleich, daß Karin, daß nur machte, damit Jasmin sie endlich akzeptierte.

Das das so nicht funktionieren würde, hätte Annabel ihr auch gleich sagen können. Jasmin, Roberta, Julia und Sabine fanden Karins verzweifelte Aktionen ziemlich daneben. Sie versuchte es einige Zeit weiter so um sich dann zu Annabels Erleichterung wieder in die normale Karin zu verwandeln, die nicht so aussah, als wäre sie in einen Farbeimer gefallen. Als Karin und Annabels Freundschaft sich wieder vertiefte, bemerkte Annabel schnell, daß Karin viel glücklicher aussah, als sie es noch vor einiger Zeit gewesen war. Den Grund dafür vertraute ihr Karin an, sie wußte daß Annabel niemanden etwas erzählen würde und Stillschweigen war auch angebracht. Karin war mit Peter zusammen, den Sportlehrer. Karin war zwar achtzehn, trotzdem würde es sicher Ärger geben, wenn es jemand erfuhr, vor allen weil Peter noch verheiratet war. Karin erklärte ihr, daß Peter ihr auch geholfen hätte über die Tatsache hinwegzukommen, daß ihre Mutter Karin nicht mehr nachholen wollte. Aber das war gar nicht mehr so schlimm, jetzt wo sie mit Peter zusammen war.

Als Mahmoud Amahdi an der Haltestelle Giesing auf die S-Bahn wartete, beobachtete er Karin und Peter, die sich verliebt küssten. Als der Mann wegging und das Mädchen die Rolltreppe runterfuhr, war da dieses andere Mädchen mit ihren üblichen Gefolge, die sie direkt anpöbelten und an den Armen packten. Auch das noch, dieses Mädchen war ihm nur zu bekannt, es lebte in der gleichen Siedlung wie er und war seiner Meinung nach der reinste Satan. Normalerweise beschimpfte sie ihn immer, einmal hatte sie sogar seine Reifen aufgeschlitzt. Aber der absolute Höhepunkt war gewesen, daß sie ihn in einen Aufzug gesperrt hatten, wo er acht Stunden aushalten mußte. Er konnte nicht zur Arbeitstelle im Hotel erscheinen und sein Chef hatte ihn nach einen sehr lauten Wutanfall sofort vor die Tür gesetzt. Ein Mannsbild läßt sich nicht von schwachen Mädchen einsperren, hatte er noch gesagt. Hatte der eine Ahnung, was für eine Furie das war. Mittlerweile hatten sie das andere Mädchen in die S-Bahn gezerrt. Mahmoud entschied sich dafür, sich möglichst weit weg zu setzen. Auf Streit mit der hatte er absolut keine Lust.

Mahmoud versuchte unauffällig wie möglich zu wirken, da konnte er Jasmin sagen hören "Du hälst Dich doch für was Besonderes, jetzt beweis es auch." Was um alles in der Welt hatte sie vor. Jasmin zerrte wie eine Verrückte die S-Bahn-Tür auf und er konnte eine ihrer unsäglichen Freundinnen schreien hören "Hör doch mit dem Scheiß auf". Aber da hatte sie Karin schon aus der Bahn geschubst, die halbwahnsinnig vor Angst versuchte sich an der Stange in der Bahn festzuhalten und schrie. Mahmoud sprang auf und riß an der Notbremse. Zu spät. Jasmin, die zum ersten Mal keine große Schnauze hatte, rannte mit den anderen Mädchen davon. Karin konnte nur noch tot geborgen werden, sie hatte zahlreiche Brüche im Kopfbereich und im Gesicht erlitten. Der S-Bahnführer Joseph Hummel erlitt einen Schock und konnte erst mit therapeutischer Hilfe seine Arbeit fortsetzen. Trotzdem würde jede Haltestelle zum Alptraum für ihn werden und bei jeden Passagier fragte er sich, ob es heute wieder passieren würde.

Auch nach dieser Anklage zeigte sich Jasmin Stöber nicht das kleinste bißchen reuig. Sie grinste und feixte bei der Befragung und benahm sich ganz so, als wäre nicht durch ihre Schuld ein Mensch gestorben. Ihr Anwalt Christian Vorländer hätte sich bei manchen Antworten an den Kopf greifen können. So sollte sich seine Mandantin auf gar keinen Fall benehmen. Sabine und Julia bedrohten während Jasmins Aussage Annabel und trichterten ihr genau ein, was sie sagen sollte. Roberta war die einzige, die an Karin dachte. Sie hörte sie immer noch schreien.


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