"Freitag, 12.05.06"
Der Fall:
Der 21-jährige, arbeitslose Kleinkriminelle
Pascal ist angeklagt, seine 17- jährige Schwester Yvonne
zu Hause verprügelt und gewürgt zu haben, weil sie angeblich
einen Brief seines inhaftierten Vaters lesen wollte. Gibt
es diesen Brief wirklich, wenn ja, was steht drin?
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Pascal gähnte verstohlen und tat so, als ob er den Tiraden
seiner Mutter lauschen würde. Die sah wirklich nicht so
aus, als ob sie in naher Zukunft mit dem Gemecker aufhören
würde. Christel war stocksauer und sie hatte auch allen
guten Grund dazu. Um drei Uhr nachts hatte die Polizei
sie und den Rest der Familie aus den Federn geklingelt
um der ziemlich geschockten Familie mitzuteilen, daß Pascal
festgenommen worden war. Er war mit seinen unsäglichen
Freunden durch die Stadt gezogen um Zigarettenautomaten
aufzuknacken und war dabei prompt erwischt worden. Kein
Mensch freut sich, wenn er drei Uhr nachts aus dem Bett
geworfen wird und schon gar nicht, wenn es die Polizei
ist und man sich alles mögliche vorstellen muß, was geschehen
sein könnte. Christel freute sich auch nicht darüber und
schaffte das Kunststück mit jeden Wort wütender und lauter
zu werden. Irgendwann fand sein Vater, daß es vielleicht
an der Zeit wäre, gütlich dazwischen zu gehen.Gerade als
Christel Pascal mit Verboten überhäufte, schaltete er sich
ein. Auf der Stelle jammerte Pascal los, daß er von gar
nichts eine Ahnung gehabt hatte und er doch nur dabei gewesen
wäre, gar nichts gemacht hätte. Wenn der eigene Sohn das
mit grünen, feuchten Augen erzählte, dann mußte das ja
stimmen. Er schickte Pascal schlafen und versuchte Christel
zu überzeugen, daß die Verhaftung Pascal wohl eine Lehre
sei. "Wer es glaubt" fauchte Christel und knallte
ihm die Schlafzimmertüre vor der Nase zu.
Es war Pascal gar keine Lehre. Christel verstand gar nicht,
wie Pascal es bloß fertig brachte sich ewig mit den Leuten
anzufreunden, die wirklich nur darauf aus waren Ärger zu
machen. Natürlich machte Pascal fleissig mit. Es war nicht
das letzte Mal, daß die Polizei Pascal aufgreifen sollte.
Pascal wurde wegen Körperverletzung, Umgang mit Betäubungsmittel,
Fahrens ohne Fahrerlaubnis, Diebstahl und Körperverletzung
mit Beleidigung je vor Gericht geladen. Man gab ihm Arbeitsauflagen,
Arreste, nichts schien irgendwie anzuschlagen. Es sah nicht
danach aus, als ob Pascal je einen normalen Beruf ergreifen
wollte und etwas vernünftigeres tun, als mit seinen Freunden
auf der Straße herumzuhängen und zu trinken und sich noch
mehr Ärger einzuhandeln. Im übrigen machte er dicht. Sobald
seine Mutter schon mit dem Satz "Wie stellst Du Dir
Deine Zukunft..." konnte man sehen, wie er sofort
abschaltete. Sein Vater war des festens Glaubens, daß man
bloß vernünftig mit Pascal reden müsse und dann würde er
schon verstehen. "Mit Deinen Verboten erreichst Du
gar nichts" erklärte er und da Pascal beide meisterhaft
gegeneinander auspielen konnte, hob er sämtliche Verbote
wieder auf und ihr Sohn machte was er wollte. Seine Schwester
Yvonne bekam mit wie das Klima sich zwischen ihren Eltern
verschlechterte, aber wenn sie versuchte mit ihren Bruder
zu sprechen, machte er sich nur über sie lustig. Es kann
nicht mehr schlimmer werden, dachte Christel und knirschte
nachts im Schlaf mit den Zähnen. Aber als Werner seine
Stelle verlor, wurde es noch viel schlimmer.
Werner versuchte alles um an eine neue Stelle zu kommen.
Aber täglich kamen immer mehr Absagen und schließlich begann
er seine Sorge in Bier zu ertränken. Werner vertrug eigentlich
keinen Alkohol und bald saß er so ziemlich benebelt in
seinen dunklen Wohnzimmer und sinnierte vor sich hin. Über
seine Arbeitslosigkeit, über die aufkommenden Rechnungen
und dann schließlich den unangenehmsten Thema. Seinen Sohn.
Den hatte er noch nie sich für eine Ausbildung bewerben
sehen. Gerade als er ihn schon im geistigen Auge auf der
Straße sah, kam sein Junge ins Wohnzimmer und sah leichenblaß
aus "Papa Du mußt mir helfen". Werner kam schwankend
auf die Füße, sogar betrunken konnte er begreifen, daß
Pascal dieses Mal etwas wirklich schlimmes angestellt haben
mußte. Wie durch Nebel konnte er seinen Sohn erzählen hören,
daß er seinen Wagen sich "ausgeliehen" hatte.
Natürlich hatte er nicht auf die Geschwindigkeit geachtet
und aufs Gas gedrückt. "Ich habe eine Radfahrerin
umgefahren..." "Was ist mit der Frau" Werner
war schlagartig nüchtern. Ungläubig hörte er Pascal sagen,
daß er das nicht wußte, weil er die Frau da einfach liegen
gelassen hatte und abgehauen war. "Hilf mir"
jammerte Pascal und heulte. In den Knast wollte er auf
gar keinen Fall. Werner benommen den Kopf. Pascal griff
zu seinen letzten Trumpf "Papa, ich habe eine Lehre
in Aussicht." Und dann redete er wie wild auf seinen
armen Vater, daß er sein Leben ändern wollte. Als die Polizei
kam, sagte Werner sofort aus, daß er am Steuer gesessen
habe. Die Beamten rochen den Alkohol und nahmen ihn das
sofort ab. Die Radfahrerin, die von einen unschuldigen
Kegelabend gekommen war und sich an alle Verkehrsregeln
gehalten hatte, war auf der Stelle tot gewesen nach, erfuhr
er. Er ließ sich ohne Kommentar abführen.
Bei der Gerichtsverhandlung hielt sich Werner auch daran
und gestand sofort seine Schuld ein. Bei der Verurteilung
zu zwei Jahren sah er Pascal lange an, der auf der Stelle
wegblickte. Kein gutes Zeichen fand Werner, aber er glaubte
weiterhin an seinen Sohn. Nicht einmal seiner Frau erzählte
er, wer wirklich den Wagen gefahren hatte, aber Christel
kam das ganze sowieso spanisch vor. Werner und Alkohol
am Steuer... Das passte ganz und gar nicht. Aber Werner
schwieg. Sein Sohn würde eine Lehre antreten und dann würde
alles gut werden. Sein Glaube wurde doch erschüttert, daß
wenn Christel und seine Tochter bei Besuchen gar nichts
von einer solchen Lehrstelle zu berichten wußten. Ganz
im Gegenteil passend zu seinen unsäglichen Freunden hatte
er sich eine ebenso unsägliche Freundin angelacht, und
die kannte noch viel gräßlichere Leute. Es wurde Zeit Pascal
an sein Versprechen zu erinnern. Da Pascal ihn nie besuchte
und das so mit dem vernünftigen Reden nichts wurde, schrieb
er seinen Sprössling einen langen Brief... Mein lieber
Sohn begann er.... Du weißt warum ich im Gefängnis bin,
denk gut darüber nach. Was konnte er noch schreiben. Mit
einfachen Sätzen beschwor er ihn an sein Versprechen zu
denken und sein Leben zu ändern... Er beendete den Brief
mit... ich vertraue Dir und ich liebe Dich. Pascal würde
das nicht kalt lassen, wußte er.
Es war auch nicht so, daß es Pascal kalt ließ, als er den
Brief erhielt. Für eine ganz kurze Zeit versuchte er auch,
ganz anders zu leben und schrieb sogar eine Bewerbung mit
lauter Rechtschreibefehlern. Aber seine neuen Freunde lachten
ihn aus, wenn er nicht mitzog und bald versteckte er den
Brief in dem Wandschrank in seinen Zimmer. Bald hielt ihn
zu Hause gar nichts mehr und er hing immer bei Janine herum.
Der erzählte er seine Mutter hätte ihn rausgeworfen und
sie kümmere sich gar nicht um ihn. Janine schenkte ihm
volles Verständnis. Ihre Mutter hatte sich immer einen
Dreck um sie gekümmert. Also schlief Pascal meistens bei
ihr und kam so gut wie nie nach Hause. Irgendwann platzte
seiner Mutter der Kragen und sie rief an um ihn mitzuteilen,
daß er nun sein Zimmer mit Yvonne tauschen müsse. Er war
ja eh nie da, sein Zimmer war größer und jetzt würden sie
Yvonnes Möbel in sein Zimmer stellen und umgekehrt. Das
war ihm zunächst auch ziemlich egal. Er fertigte Christel
unter Janines beifälligen Blick ziemlich kurz ab und legte
auf. Später fiel es ihm siedendheiss ein. Der Brief! Wenn
sie die Möbel umtauschten, dann würden sie auch die Schrankwand
auseinander nehmen. Wenn sie den Brief fanden, würde die
ganze Wahrheit ans Licht kommen. Schnell erzählte er seiner
verdutzten Freundin ein Märchen über Geld für Schulabschluß
leihen von seiner Mutter und machte sich auf den Weg.
Christel riß erstaunt die Augen auf, als ein ziemlich rot
angelaufener Pascal die Wohnungstüre aufriß. Pascal hatte
auch keinen Sinn für Höflichkeiten und rannte einfach an
ihr vorbei in sein altes Zimmer. Sie sollte kaum Gelegenheit
haben sich über Pascals seltsames Verhalten Gedanken zu
machen, denn plötzlich konnte sie Pascal wütend brüllen
hören und dann kreischte Yvonne durchdringend, so wie sie
noch nie einen Menschen hatte kreischen hören. Panisch
rannte Christel in das Zimmer und sah ihren Sohn, wie er
augenscheinlich dabei war seine eigene Schwester zu erwürgen.
Hektisch versuchte sie beide auseinander zu ziehen. Pascal
sah sie an, als würde er sie gar nicht kennen, und verpaßte
ihr einen harten Stoss in die Rippen. Sie klappte zusammen.
Zumindest hatte er Yvonnes Kehle los gelassen. Er griff
nach etwas und rannte wie von Furien gehetzt davon. Mutter
und Tochter lagen lange nebeneinander und schluchzten und
rangen heftig nach Luft. Irgendwie schaffte es Yvonne ihr
zu erklären, daß Pascal so ausgeflippt war, weil sie einen
Brief von ihm gefunden hatte. "Der war von Papa...
ich konnte nur lesen "Mein lieber Sohn" weinte
Yvonne, die heftig an der Lippe blutete "da hat er
mich geschlagen, mir die Haare ausgerissen und gewürgt.
Dieses Mal ist er zu weit gegangen, sagte sie und rief
die Polizei.
Beim nächsten Besuch erzählte sie ihren Mann davon. Als
Christel weg war, wurde der so wütend wie nie zuvor in
seinen Leben. Er mußte seinen Sohn dazu bringen bei der
Verhandlung die Wahrheit zu sagen. Und zwar die ganze.
Anscheinend mußte sein Sohn erst in den Knast um sein Leben
zu überdenken. Der brave Familienvater ließ sich in den
Krankentrakt bringen, wegen Herzstörungen und dann tat
er das, was er sich niemals im Leben hätte vorstellen können.
Er brach aus dem Gefängnis aus, klaute auf seiner Flucht
einen armen Obdachlosen sein erbetteltes Geld. Es war ihm
unglaublich peinlich und er entschuldigte sich mehrfach
im Weglaufen bei den Mann, der Mordio und Zeterio brüllte
und natürlich nach der Polizei schrie. Während er heftig
Luft holte, warf er die Münzen in einen Fernsprecher und
begann die Nummer des Gerichtes zu wählen, wo er nach Herrn
Richter Hold verlangte, der das Verfahren heute gegen seinen
Sohn führen würde. ".... achten Sie darauf wie mein
Sohn reagiert, wenn ich sage, er soll die ganze Wahrheit
sagen." Inzwischen war der Apparat auf laut gestellt.
Pascal zuckte auf der Anklagebank zusammen. Danach stellte
Werner sich der Polizei und bat überaus höflich sofort
vor Gericht geführt zu werden, wo man ihn auch hinfuhr.
Dann mußte Pascal eben auf die harte Tour zur Vernunft
gebracht werden.
cocosgirl
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